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Rabenblut - Einen Flügelschlag entfernt (Rabenblut Serie 1) (German Edition) Read online




  Das Buch

  Jeden Tag durchstreift Isa den Wald auf der Suche nach Luchsen – sie kontrolliert Fallen und verfolgt die Fährten der Wildtiere. Nur einen Flügelschlag von ihr entfernt lebt Alexej in der Geborgenheit eines Rabenschwarms. Es ist ein kalter November, als er durch den Angriff eines Hunderudels schwer verletzt wird und Isa ihn findet. Sie verliebt sich in Alexej, der sein zerrissenes Leben vor ihr verheimlicht. Doch von einem Tag auf den anderen verschwindet er in den Wäldern, ohne Spuren zu hinterlassen. Wenig später sucht ein Kolkrabe Isas Nähe – ein Wolfsvogel, der dieselben blauen Augen hat wie ihr Alexej …

  Die Autorin

  Nikola Hotel, 1978 in Bonn geboren, arbeitete zunächst als Krankenschwester, bevor ihr großes Interesse an Geschichte sie zum Schreiben brachte. Ihr Debüt »Rabenblut drängt« wurde 2013 mit dem dritten Platz beim Autoren@Leipzig Award der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und im Oktober 2015 von Amazon Publishing wiederveröffentlicht. Seit dem großen Erfolg des heiteren Frauenromans »Fernsehköche küsst man nicht« ist sie ausschließlich als freischaffende Autorin tätig. Nikola Hotel lebt in Hennef, ist verheiratet und hat drei Söhne.

  Besuchen Sie die Autorin im Internet unter

  www.nikolahotel.com

  www.facebook.com/nikolahotel

  Die Erstausgabe erschien 2012 unter dem Titel »Rabenblut drängt« im Selbstverlag.

  Veröffentlicht bei

  Amazon Publishing, Amazon E.U. Sàrl

  5 Rue Plaetis, L-2338, Luxembourg

  Oktober 2015

  Copyright © der Originalausgabe 2012

  by Nikola Hotel

  All rights reserved

  Umschlaggestaltung: bürosüdo München, www.buerosued.de

  Lektorat: Miriam Shahd

  Satz: Satzbüro Peters

  ISBN: 978-1-503-95131-0

  www.apub.com

  Für Arndt

  INHALTSVERZEICHNIS

  ANFANG

  PROLOG

  SCHAUMZÄHNE

  NACHTSCHUSS

  BLUTQUAL

  GRABAUGEN

  KLANGTRÄNEN

  SCHWEISSBLÄSSE

  WUNDFESSEL

  AASGIER

  NAMENSFLUCH

  HERZFLATTERN

  RABENKIND

  WALDFIEBER

  BLUTDRANG

  AUGENPOKER

  BRUDERSEELE

  FÜRSTENRAUSCH

  GRABFREVEL

  RABENKUSS

  RABENFLUCHT

  FIEBERSUCHE

  SPLITTERWUT

  LUFTGESPINST

  FREIFLUG

  WUNDSPUR

  VATERMORD

  HERZPULS

  SCHATTENVOGEL

  RABENHITZE

  NIMMERMEHR

  RABENFREUND

  BRANDMAL

  FLAUMFEDERN

  MENSCHENHERZ

  HOFFNUNGSBLICK

  REVIERKAMPF

  BLUTKLEID

  MISSGEBURT

  WAPPENTIER

  HASSLIEBE

  ERKENNTNISWUCHT

  RABENHORST

  DROHBRAND

  FREIHEITSERBE

  RABENLUST

  MENSCHENLEBEN

  RABENSCHWARZ

  RACHEDURST

  ANGRIFFSLUST

  PFEILGIFT

  LIEBESATEM

  VÄTERSCHULD

  EPILOG

  DANKSAGUNG

  If men had wings and bore black feathers, few of them would be clever enough to be crows.

  Henry Ward Beecher

  PROLOG

  Meine Augen schlossen sich gegen meinen Willen. Speichel sammelte sich in meinem Mund und lief mir den Mundwinkel hinunter. Alles war schärfer, die Düfte klangen nach Musik, die Geräusche um mich herum tanzten. Ich hatte jegliche Kontrolle über meinen Körper verloren.

  Ich atmete nicht mehr.

  Ihre Lippen berührten meine, und meine Seele öffnete sich wie die Staubflügel eines Nachtfalters: Gleich würde sie davonfliegen.

  Ich hätte so gerne gelächelt, um sie zu trösten, aber meine Muskeln gehorchten nicht.

  Ich sterbe.

  Dieser Gedanke quälte mich nicht, weil sich eine Gewissheit in mir ausbreitete, die alles andere verdrängte, mich auf wispernden Winden bettete, zart, liebkosend.

  Ich wusste: Ich sterbe als glücklicher Mann.

  SCHAUMZÄHNE

  ALEXEJ

  Mein Gefieder sträubte sich, und mein Herz schlug schneller. Der Wolf war unser Freund, und ich vertraute ihm. Aber trotz dieses Wissens hob und senkte sich meine Brust in immer kürzeren Abständen.

  Ich lockerte meinen Griff um den Zweig und trat vorsichtig einige Schritte die Astgabel entlang. Zwischen den Baumwipfeln spannte sich der Nebel wie ein dickes Tuch. Tief sog ich die kühle Luft der Morgendämmerung ein.

  Ein lautes »Kroak« ließ mich zusammenfahren und brachte meinen Zweig zum Wippen. Sofort suchte ich alle Seiten ab.

  »Tschieh!« Ein langer Schrei floh über die Baumwipfel.

  Ich blinzelte erleichtert – das war unverkennbar Pavels Stimme. Ein Flattern, ein leichtes Schwirren im halb kahlen Blätterdach, und ich lokalisierte ihn wenige Ruderschläge entfernt. Ruckartig schlug ich meine Flügel nach hinten und startete senkrecht in die Luft. Rasch gewann ich so viel an Höhe, dass der Zweig, auf dem ich eben noch gesessen hatte, mit der Masse der Bäume unter mir verschmolz. Ich glitt direkt neben Pavel auf den höchsten Ast einer Roteiche. Zur Begrüßung stupste er mich mit seinem Schnabel an.

  »Eulengleich, lieber Alexej! Nahezu eulengleich!«, neckte er mich.

  Doch ich war nicht in der Stimmung zu scherzen. »Wo sind die anderen?«

  Pavel zupfte seine Brustfedern zurecht. »Darius und Laszlo treffen die Jungs unweit der Weide, bei der wir letztes Frühjahr Teile dieser Hirschkuh versteckt haben. Erinnerst du dich?«

  »Natürlich.«

  »Sie haben sich mit dem Staubgrauen abgesprochen. Raban bleibt bei ihm und warnt uns, wenn der Angriff startet.«

  Ich nickte. Raban würde den Wolf keine Sekunde aus den Augen lassen, denn wir kannten diesen Jäger noch nicht lang genug.

  Der Staubgraue war ein mittelgroßer Einzelgänger. Es war ungewöhnlich, dass ein Wolf allein jagte, aber er war ein Pionier in dieser Gegend, auf der Suche nach einem Weibchen, mit dem er sein eigenes Rudel gründen konnte. Seine Wanderung hatte ihn über das Riesengebirge bis hierher nach Böhmen geführt. Er war hungrig.

  Und jetzt würde er unser Futterlieferant sein.

  Tagelang hatten wir die Strecke beobachtet, die der Wanderhirte mit seinen Schafen zurücklegte, einer großen Herde mit mindestens hundertzwanzig Muttertieren. Es waren Schwarzköpfe. Große, breitschultrige Schwarzköpfe mit dichtem, fettigem Fell, das es unseren Schnäbeln unmöglich machen würde, die zarte Haut darunter zu durchdringen. Deshalb würde der Staubgraue es für uns aufbeißen. Er würde sich satt fressen und weiterziehen, und wir wären in den nächsten Stunden damit beschäftigt, die Beute in sicheren Verstecken unterzubringen.

  Die Vorfreude ließ mich erbeben. Und doch: Da war dieses Gefühl der Gefahr. Ein Flattern in meinen Eingeweiden wie das hysterische Surren eines Hummelschwebers oder das Gefühl, auf zwei Beinen zu gehen, ohne den Schutz meiner Flügel, die mich jederzeit in luftige Höhen retten konnten. Aber diese Erinnerung scheute ich.

  Sollte ich Pavel von meinen Befürchtungen erzählen?

  Ich überlegte nicht lange: Pavel kannte nur jugendlichen Leichtsinn. Er würde mich aufziehen und meine Vorsicht als Angst abtun. Und Angst war ein menschliches Gefühl, viel zu menschlich für meinen Geschmack.

  »Was
ist mit den Hütehunden?«, fragte ich stattdessen. »Was haben die Jungs als Ablenkungsmanöver geplant?«

  »Das Übliche. Lautes Getöse, einen Scheinangriff auf ein paar Lämmer.« Pavel gluckste. »Die fahren voll auf diese Hitchcock-Nummer ab.«

  Die freudige Erregung, die ihn erfasst hatte, machte mir bewusst, wie kindlich er noch war. Ob es richtig war, ihn bei dieser Beutetour dabeizuhaben? Und wie oft hatte ich mir diese Frage in den letzten Tagen schon gestellt?

  Vor gut einem Jahr war Pavel noch unbeholfen und linkisch gewesen: ein zarter Jungvogel mit blauen Kinderaugen. Inzwischen waren seine Augen gebräunt, seine Federn geschwärzt und die Flügel lang gestreckt und spitz. Allein an seinem schlanken Schnabel erkannte man, dass er noch nicht ausgewachsen war. Ich hoffte inständig, dass wir keinen Fehler machten, dass sich mein ungutes Gefühl verflüchtigte und hinterher nur ein Lachen blieb – ein aufatmendes Lachen über meine übertriebene Vorsicht.

  Ich horchte. Es wurde stetig kälter, die Nächte wurden langsam länger, und die Morgenlieder der anderen Vögel verspäteten sich.

  In diesem Moment hörte ich Rabans Warnruf.

  Wir stießen uns beinahe gleichzeitig vom Ast ab. Mit kräftigen Ruderschlägen flogen wir über die Baumkronen dahin. Ich ließ mich in einen leichten Segelflug gleiten, und Pavel tat es mir nach. Als wir auf Darius und Laszlo trafen, sahen wir unter uns die Schwarzköpfe weiden. Diejenigen, die nicht im Liegen Halbverdautes hochrülpsten, setzten in immer gleichem Rhythmus ein Bein vor das andere und rupften emsig Gras.

  Wir kreisten kurz über der Herde und lauschten auf den Wolf und das herannahende Spektakel unseres Schwarms. Einer der beiden Hütehunde hatte die weiße Schnauze zwischen die Vorderpfoten geklemmt und blinzelte müde. Der zweite Hund umkreiste die Herde und schnüffelte in die Dunkelheit. Plötzlich sprang sein Partner auf und bellte warnend. Die Schafe drückten sich ängstlich aneinander. Wir hörten ein lautes »Krak«, dem ein heftiges Gekreische antwortete.

  Die Jagd begann.

  Ein Adrenalinschub durchflutete mich und ließ meinen Herzschlag flattern. Mein Schwarm schoss durch die Luft. Es war eine grandiose Show: Mit klatschenden Flügelschlägen machten sie einen ohrenbetäubenden Lärm. Die beiden Hunde drehten sich verwirrt um sich selbst.

  Unter den Schafen sprangen die ersten in hektischen Bocksprüngen davon. Ferenc und András attackierten eine kleine Lämmergruppe, die sofort ängstlich blökte. Dann erst erkannten die Hunde den Ernst der Lage: Kläffend versuchten sie, die angreifenden Vögel zu vertreiben, und schnappten in die Luft.

  Wo blieb der Staubgraue? Allmählich wurde es Zeit für den Überfall, bevor das Spektakel den Schäfer aus seinem rostigen Escort lockte. Ich sah den Wagen etwa zweihundert Meter weiter westlich: ein roter Blechfleck im Dämmergrau – die Scheiben beschlagen und undurchsichtig.

  Neben mir schrie Pavel erregt auf, als der Staubgraue aus dem Dickicht trat und mit gesenktem Kopf über die Wiese schlich.

  Wie abgebrüht er das tat! Mich fröstelte.

  Sein Körper war gespannt. Seine Mimik ließ die Absicht nicht erahnen. Er wirkte neutral, fast unbeteiligt.

  Dann rannte er los. Die Hinterläufe flogen geradezu nach vorn. In einem unglaublichen Tempo erreichte er die Herde. Kein nach oben gerichteter Schwanz ließ die Attacke erkennen, kein Zähneblecken, kein Knurren. Ohne jede Vorwarnung sprang er scheinbar wahllos eines der Tiere an und ließ sein kräftiges Gebiss aufblitzen.

  Es dauerte kaum eine Sekunde, da hing er dem Jungtier an der Kehle, schüttelte es mehrmals, bevor er nachbiss. Angsterfülltes Blöken schallte über die Wiese, und die Tiere preschten auseinander. Der Staubgraue zerrte seine schlaffe Beute in Richtung Wald. Ein Kläffen ertönte. Diese Stimmen waren mir nicht vertraut, und ich schoss nach oben, um die Quelle des Lärms auszumachen.

  Ein Rudel Hunde stürmte heran, und ich stieß einen Warnschrei aus.

  Sie waren zu viert. Ihr glattes Fell glänzte. Die bulligen Gesichter mit den kurzen Nasen waren vor Wut verzerrt. Hier sah ich die Mimik, die ich beim Staubgrauen vergeblich gesucht hatte: die angelegten Ohren, die gebleckten Zähne, den Pelz, der sich im massigen Nacken sträubte. Das alles begleitet von einem Wutgebell, das mich trotz der Entfernung in Panik versetzte. In kräftigen Sprüngen setzten sie hinter dem Staubgrauen her.

  Das war ungewöhnlich: Das Schaf war bereits erlegt und unser Schwarm immer noch eine Bedrohung für die Lämmer. Warum also rannten sie dem Wolf hinterher und ließen die Herde schutzlos zurück?

  Aber nein, die Hütehunde hielten ihre Stellung und trieben die Tiere wieder zusammen. Zu wem also gehörten diese Bluthunde? Ein Gefühl der Panik überkam mich.

  Ich sah Arwed mit Milos und Sergius über die wütende Meute hinweg davonstieben.

  Wo war Pavel? Ich trieb mich zu Höchstgeschwindigkeit an, doch als ich den Wald erreichte, musste ich mein Tempo drosseln, um zwischen den Bäumen navigieren zu können.

  Dem Wolf hing seine Beute noch immer zwischen den Lefzen. Und dort war auch Pavel: Er hockte auf dem Rücken des Staubgrauen.

  Die Bluthunde kamen näher. Ich stürzte zu Pavel hinab, schrie ihn an, aber er regte sich nicht. Auch der Wolf war wie erstarrt.

  »Wir werden unsere Beute verteidigen!«, krächzte Pavel.

  »Bist du wahnsinnig geworden?« Mit Schwung stieß ich gegen ihn und brachte ihn zu Fall. Wenige Flügelschläge später stand er wieder oben.

  War das die Strafe für unseren Übermut?

  Der Kampf gegen vier barbarische Bluthunde war doch völlig aussichtslos!

  »Sei vernünftig, Pavel! Das hier ist kein Spiel mehr«, versuchte ich ihn zur Einsicht zu bringen. Aber er sträubte sich.

  Und dann erreichte uns das Rudel.

  Der Staubgraue schleuderte das Lamm beiseite. Seine Gesichtszüge veränderten sich, verzerrten sich vor Angst. Erst knurrte er und riss dann sein Maul weit auf, um einen gellenden Schrei auszustoßen. Etwas Ähnliches hatte ich noch nie gehört.

  Von allen Seiten belferte die Meute auf den Wolf ein. Dieser versuchte zähnefletschend, seine Feinde zu vertreiben – ohne Erfolg. Der erste Hund schnappte zu, und ich hackte nach Pavel, um ihn zu verscheuchen. Wir konnten dem Staubgrauen nicht helfen, merkte er das denn nicht?

  Einer der Angreifer lag plötzlich winselnd am Boden. Mit Triumphgeheul fiel der Staubgraue den Nächsten an. Schon zog sich das zweite Tier zurück. Das brachte Pavel auf den Plan: Siegesgewiss flog er auf den dritten Bluthund zu und versuchte, ihn mit seinem harten Schnabel im Gesicht zu treffen.

  Ich hörte eine angsterfüllte Vogelstimme kreischen – es war meine eigene. Knapp flatterte ich über die Meute hinweg, um sie abzulenken, von dem Jungvogel wegzulocken, der mir so viel bedeutete. Ich ließ sie nach mir springen, lockte sie. Und gerade, als ich dachte, der Staubgraue gewänne die Oberhand, stieß Pavel ein markerschütterndes Kreischen aus: Einer der Bluthunde hatte ihn erwischt.

  Ein Knacken, und etwas in Pavel zerbrach.

  »Nein!« Im Sturzflug schoss ich auf die beiden zu. Ein Knall, ein Aufjaulen, und der Staubgraue brach über einem der Hunde zusammen. Blut rann aus seinem Maul. Ich prallte gegen den Hund, der Pavel gefangen hielt. Überrascht ließ er sein Opfer fallen und schnappte nach mir, wobei Schaum von seinen Lefzen spritzte. Seine Zähne drangen durch mein Gefieder. Mein linker Arm schmerzte, fühlte sich auf einmal seltsam fremd und unnütz an.

  Mein Arm?

  Da erst spürte ich, wie mein Körper an Schwere gewann, meine Federn von mir abfielen und der Flaum sich wie Sprühregen in der Luft verteilte. Die Kälte traf mit voller Wucht meine nackte Haut.

  Ich stürzte nach vorn über den feuchten, blutbesudelten Boden und riss Pavel mit den Händen an mich.

  Er war so leicht, so zart, so zerbrechlich.

  Meine Brust schmerzte. Ich drehte seinen kleinen Kopf zu mir und sah, nur für den Bruchteil einer Sekunde, sein wahres Gesicht.

  Er war noch so jung!

  Qualvoll stöhnte ich auf. Und meine menschliche Stimme war mir dabei so fremd und doch so vertraut wie eine lang verdrängte Erinnerung.

  NACHTSCHUSS

 
ISABEAU

  Ich verwünschte mich selbst. Was um Himmels willen hatte mich nur dazu getrieben, hier an diesen entlegenen Ort zu ziehen? Akute geistige Verwirrung? Ich zog die Decke bis zur Nasenspitze herauf, um mein Zittern zu unterdrücken. Wie sollte das erst im Winter werden? Marek hatte mir zwar versprochen, dass er die Heizung in meinem Häuschen reparieren lassen würde, aber bisher war das nur leeres Gerede gewesen.

  Im Sommer war es hier gar nicht so übel. Zumindest nicht, wenn man so freundlich empfangen wurde wie von Marek und Lara. Die beiden hatten dringend Hilfe nötig. Das war auch der Grund, warum sie mich für ein Jahr als Praktikantin eingestellt hatten, obwohl ich weder Biologin war noch über die gewünschten Sprachkenntnisse in Tschechisch verfügte. Sie arbeiteten schon seit vielen Jahren grenzübergreifend mit anderen Forschern zusammen, und ich war für die Arbeiten eingeteilt worden, bei denen man nicht zwingend mit anderen Projekthelfern kommunizieren musste.

  Hauptsächlich bestand meine Arbeit darin, bei der Riss- und Losungssuche von Luchsen mitzuhelfen. Das bedeutete, dass ich auf meiner Route durch den Wald nach getötetem Wild Ausschau hielt. Meist waren das Rehe, Rothirschkälber oder Feldhasen. Fanden wir erlegtes Wild, positionierten wir Schlingenfallen um das tote Tier, denn Luchse fressen bis zu sieben Tage lang an ihrer Beute. So konnten wir hoffen, eines dieser Raubtiere einzufangen und mit einem Sender auszustatten.

  Mit diesem Sender war es uns dann möglich, die Aktionsräume des Luchses zu erforschen. Wo ging er jagen? Wo schlief er? Wie oft wechselte er sein Revier? Die Auswertung dieser Telemetrie-Daten war Mareks Aufgabe. Lara war die PR-Frau, zuständig für die Gestaltung der Website und Leiterin der aktuellen Projektarbeit: Der Einfluss des Raubtieres auf seine Beute.

  Ortsansässige Helfer verrichteten die anfallenden Technik- und Schreinerarbeiten. Ich zitterte. Ob es unter ihnen wohl jemanden gab, der meine Heizung reparieren konnte? Sicher war es draußen noch wärmer als hier drinnen. Die graue Blechfassade, hinter der ich schlief, schien ausschließlich Kälteatome aufzusaugen.

  Ein Blick auf meinen Wecker prophezeite mir noch genau achtundfünfzig Minuten bis zum Klingeln. Da lohnte es sich gar nicht mehr einzuschlafen. Allerdings konnte mich die Vorstellung, in dieser Kälte vor dem Laptop zu sitzen und Spammails zu löschen, auch nicht reizen, und ich knipste das Licht wieder aus.